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Soziale Teilhabe durch nachhaltigen Konsum: aus der Forschung in die Praxis

© Laura Reis, Telmo Parreira, Vincent Leinweber, Photocredit: Henrique Andradre

Jugendliche aus prekären Milieus gehören aufgrund ihrer ökonomischen Situation üblicherweise nicht zu den primären Zielgruppen des Marketings. Gleichzeitig sind für Jugendliche und junge Erwachsene beim Konsum eher Motive wie soziale Teilhabe und Anerkennung und weniger das Thema Umwelt handlungsleitend. Außerdem zeigen Forschungen, dass die soziale Teilhabe unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen durch nachhaltigen Konsum verbessert werden kann.

Vor diesem Hintergrund haben wir in unserem Forschungsprojekt NaKoDi[1] untersucht, welchen Beitrag nachhaltiger Konsum zur sozialen Teilhabe von Jugendlichen und Menschen aus prekären Milieus leisten kann. Das Forschungsprojekt zeichnet sich durch eine innovative Verknüpfung von aktivierenden sozialwissenschaftlichen Methoden und informellen Beteiligungsformen aus: Wir haben die sozialwissenschaftlichen Grundlagen zum Thema nachhaltiger Konsum und soziale Teilhabe erarbeitet und daraus eine anwendungsorientierte Basistypologie für unterschiedliche Formen und Modi der Beteiligung an nachhaltigen Konsumpraktiken entwickelt. Dazu zählen etwa Tauschen, Leihen, Produkte länger nutzen, Crowdfunding oder die Teilnahme an Initiativen und Aktionen zur gezielten Einflussnahme auf Unternehmen oder Politik.

In einer empirischen Untersuchung haben wir über 80 Personen aus unterschiedlichen Altersgruppen und sozialen Milieus in Fokusgruppen und in einem über mehrere Monate laufenden Online-Panel befragt. Die Ergebnisse dieser Befragung zeigen die große Spannbreite, die es in den prekären Milieus in Bezug auf nachhaltigen Konsum gibt. Im Vergleich etwa mit den sogenannten sozial-ökologischen Milieus der Mittelschicht erfolgt der Zugang zu Nachhaltigkeitsthemen über deutlich andere Themen und Motive. Nachhaltigkeit ist dabei weniger symbolisch aufgeladen: Nachhaltiger Konsum erscheint vor allem dann attraktiv, wenn dies eine spürbare Erweiterung der eigenen materiellen Teilhabemöglichkeiten verspricht, beispielsweise bei Smartphones, Spielekonsolen oder anderen IKT-Geräten, die in der Lebenswelt von Jugendlichen und jungen Erwachsenen einen hohen Stellenwert haben. Der Kauf von Secondhand-Geräten ermöglicht den Zugang zu hochwertigen, teuren und in der Peergroup hoch angesehenen Markenprodukten, die sonst aus finanziellen Gründen unerreichbar wären. Andererseits gilt vielen der Erwerb von Gütern symbolisch als Form sozialer Teilhabe, eine Logik, die zunächst nur schwer zu durchbrechen scheint. Der Besitz von Markenkleidung steht dann für Prestige und Anerkennung – im Unterschied zu Secondhand-Bekleidung.

Wie diese Logik in konkreten Kommunikationskampagnen aufgebrochen oder subversiv unterlaufen werden kann, haben wir in einem gemeinsamen Projekt mit dem Fachbereich Gestaltung der Hochschule Mainz untersucht. Grundlage dieser Arbeiten waren aktuelle Erkenntnisse aus der Nachhaltigkeitskommunikation. Hier galt lange Zeit als gesichert, dass Konsument*innen beziehungsweise Bürger*innen allein durch die bloße Vermittlung von Wissen ihr Handeln im Alltag verändern. Dieses Kommunikationsmodell gilt inzwischen als nicht mehr aktuell. Vielmehr muss Kommunikation – mit Luhmann – als ein Prozess verstanden werden, der auf nutzenbezogener Selektion beruht. Das bedeutet, dass sich Konsument*innen Kommunikationsinhalte aktiv aneignen und aus der Bandbreite der Angebote herausgreifen, sofern das Angebot einen persönlichen oder sozialen Nutzen verspricht. Dabei wird Nutzen nicht zwingend rational verstanden, es kann sich auch um einen emotionalen Nutzen handeln wie Spaß oder Unterhaltung. Ebenso kann der Nutzen aus der Distinktion gegenüber anderen Gruppen erwachsen oder aus der sozialen Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Zugleich muss Kommunikation heute dialogisch verstanden werden, was insbesondere in den sozialen Medien ganz neue Anforderungen an das Kommunikationsdesign stellt.

Aktuelle kommunikationswissenschaftliche Untersuchungen zeigen zudem, dass Kommunikationsansätze dann in der Praxis erfolgreich sind, wenn Informationen emotional und über Geschichten vermittelt werden. Dies gilt gerade mit Blick auf Jugendliche und junge Erwachsene, weil für sie beim Konsum andere Aspekte als das Thema Umwelt handlungsleitend sind. Soziale Teilhabe und Anerkennung finden eher über „demonstrativen Konsum“ und den Besitz materieller Güter statt: Das neueste Smartphone oder aktuelle Mode einer angesagten Marke entscheiden stark über die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe. Vor allem Markenprodukte genießen einen hohen Stellenwert. Ethische Gesichtspunkte spielen in der Konsumentscheidung nur dann eine Rolle, wenn sich damit eine Wirkung zum Beispiel bei der eigenen Peergroup erzielen lässt. Daher sind nachhaltigkeitsorientiertes Konsumverhalten und jugendspezifischer Lifestyle nicht automatisch kompatibel, sondern stehen häufig konträr zueinander.

Ausgehend von diesen Erkenntnissen sowie den Ergebnissen unserer Studie NaKoDi haben Studierenden-Teams des Masterstudiengangs Stuffed Birds der Hochschule Mainz sechs Kommunikationskampagnen entwickelt. Diese adressieren Jugendliche und Migrant*innen aus prekären Milieus. Dabei war die gewählte Aufgabe einigermaßen ungewöhnlich, denn es ging darum, Kampagnen zu entwickeln, die nicht zu mehr Konsum anregen sollen, sondern die darauf abzielen, die Adressat*innen dazu zu bewegen, den eigenen Konsum zu hinterfragen und anders zu konsumieren. Die Ergebnisse, die dabei im Laufe des Projekts entstanden sind, forderten auch uns als Projektteam immer wieder aufs Neue auf, eigene Denk- und Sehgewohnheiten zu hinterfragen. Die empirischen Befunde zeigen zudem, dass auch emotional geprägte Kampagnen zum Auslöser werden können, um nicht nachhaltige Konsummuster infrage zu stellen, etwa Mitleid mit Tieren oder die Empörung darüber, dass Lebensmittel weggeworfen werden, obwohl viele Menschen Hunger leiden. Dass in dieser Gemengelage klischeebeladene Projektionen gerade bei der Kommunikation von Nachhaltigkeitsthemen leicht nach hinten losgehen, liegt auf der Hand. Nachhaltigkeit setzt eine gewisse Ernsthaftigkeit voraus, und dieser Erwartung muss auch die Kommunikation gerecht werden. Andererseits: Wie Bildwelt und Tonalität wahrgenommen werden, hängt stark von den Lebenswelten und Codes der jeweiligen Subkultur ab.


[1] Das Forschungsprojekt NaKoDi – Bürgerbeteiligung und soziale Teilhabe im Rahmen der Umsetzung des Nationalen Programms für nachhaltigen Konsum: neue Impulse für das bürgerschaftliche Engagement“ wurde im Auftrag des Umweltbundesamts durchgeführt (FKZ 3717 16 310 0).


Autor*in

Immanuel Stieß

Immanuel Stieß ist langjähriger wissenschaftlicher Mitarbeiter des ISOE und leitet den Forschungsschwerpunkt Energie und Klimaschutz im Alltag. Er hat im Fachbereich Architektur, Stadt-, Landschaftsplanung der Universität Kassel promoviert mit einer Untersuchung zum Thema modernisierungsbegleitende Mieterkommunikation. Er forscht zu Potenzialen und Hemmnissen für nachhaltige und CO2-arme Lebensstile und Alltagspraktiken, v.a. in den Handlungsfeldern Bauen und Wohnen, Energienutzung im Haushalt und Ernährung. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Verknüpfung von umwelt- und sozialpolitischen Zielsetzungen, z.B. in der Konzeption, Analyse und Evaluation von Handlungsansätzen für einen nachhaltigen Konsum für Haushalte mit geringem Einkommen. Immanuel Stieß verfügt über umfangreiche Erfahrungen in der Durchführung sozialempirischer Untersuchungen, Akzeptanz- und Wirkungsanalysen.

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