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Wie über Biodiversität sprechen?

Den Begriff Biodiversität („biodiversity“) gibt es erst seit Mitte der 80er Jahre. Er wurde mit dem Ziel geprägt, die Vielfalt des Lebens mit „more emotion“ and „more spirit“ in Worte zu fassen. Heute sind wir weit von diesem Ziel entfernt – sowohl in Bezug auf den tatsächlichen Erhalt der Biodiversität als auch in der Art und Weise, wie wir über sie sprechen. Zwischen beidem gibt es einen Zusammenhang.

Während der wissenschaftliche Diskurs über biologische Vielfalt schon lange etabliert ist, gibt es den Begriff Biodiversität („biodiversity“) erst seit 1986. Walter R. Rosen hat ihn geprägt, um einen Begriff zu haben, der mehr Raum schafft für „emotion“ und „spirit“ (Takacs 1996, S. 37). Seither hat er sich weltweit durchgesetzt, auch in Deutschland. Sein Erfolg lässt sich auch damit begründen, dass Biodiversität sich als „boundary concept“ (Eser 2001) stets zwischen Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit bewegt: Einerseits wird mit Biodiversität ein Gegenstand bezeichnet – die Vielfalt der Arten, die Vielfalt innerhalb der Arten und die Vielfalt der Ökosysteme –, und andererseits handelt es sich um ein Konzept, dem stets ökologische, ökonomische, ethische, ästhetische und affektive Werte zugeschrieben werden. Biodiversität ist ein deskriptiver und ein präskriptiver Begriff – und ein politischer. Er beschreibt, was ist, und gleichzeitig besagt er, was sein soll: Mit ihm wird das Anliegen verbunden, die Vielfalt des Lebens auf unserem Planeten zu bewahren. David Takacs bringt es in seiner Studie über die Geschichte dieses Begriffs folgendermaßen auf den Punkt: „Conservation biologists have generated and disseminated the term ‘biodiversity’ specifically to change the terrain of your mental map, reasoning that if you were to conceive of nature differently, you would view and value it differently.“ (Takacs 1996, S. 1) Wo stehen wir heute? Hatte dieses „Neuzeichnen“ der mentalen Karten, diese Werteverschiebung durch den Biodiversitätsdiskurs Erfolg?

Gut oder schlecht für wen? Eine Frage der Perspektive

Bislang ist es nicht gelungen, den schleichenden, aber umso drastischeren Verlust der Vielfalt des Lebens zu stoppen. Offen ist immer noch die Frage, ob die Art und Weise, wie wir Biodiversität wahrnehmen, wie wir über sie sprechen und welche Geschichten wir von ihr erzählen, förderlich ist für die Anliegen, die wir zum Erhalt der Vielfalt des Lebens verfolgen. Trotz allen Erfolgs: „Biodiversität“ ist kein einfacher Begriff, er ist sehr abstrakt und klingt auf Deutsch zudem ziemlich technisch. Daher greifen wir, wie die Studie sprachkompass.ch[1] zeigt, beim Sprechen über Biodiversität auf verschiedene Metaphern zurück. Oft verknüpfen wir die Biodiversität mit Bereichen der menschlichen Gesellschaft, um sie greifbarer zu machen. Dies mündet nicht selten in einer anthropozentristischen Perspektive, die verhindert, Dinge in neuem Licht zu betrachten: So ist auffällig, dass im ökologischen Diskurs oftmals Vorgänge, die – je nach Intensität und Kontext – für die Biodiversität durchaus förderlich sein können, mit negativen Begriffen bezeichnet werden. Wenn beispielsweise auf einer extensiv bewirtschafteten Weide die Hufe von Tieren den Boden verändern, so sollte vielleicht nicht länger von einer „Störung“, sondern von einer „Gestaltung“, nicht von „Trittschäden“, sondern von „Trittchancen“ gesprochen werden: Offene Bodenstellen sind für zahlreiche Arten, etwa für Wildbienen, wichtige Nistplätze. Ohne „Störung“ fehlen sie. Diese negativ konnotierten Metaphern vermitteln, dass aus anthropozentrischer Perspektive etwas Negatives passiert, obwohl es für die Biodiversität in der Regel förderlich ist. Es ist von zentraler Bedeutung, dass solche sprachlichen Nuancen mehr Berücksichtigung finden, wenn über ökologische Zusammenhänge gesprochen wird. Dazu gehört auch, immer wieder kritisch auf die Metaphern und Narrative zu Biodiversität zu blicken, die den Diskurs heute bestimmen. Hier ist, innerhalb der anthropozentrischen Perspektive, eine starke Dominanz von Bereichen festzustellen, die man jetzt nicht gerade mit „emotion“ und „spirit“ verbindet – wie etwa der Ökonomie und dem Militär.

„Ökosystemleistungen“, „Nature’s Gifts to People“ und „Invasive Arten“

Es ist als Fortschritt zu sehen, dass mit den aktuell verbreiteten Metaphern der „Ökosystemleistungen“[2] und der „Nature’s Contribution to People“ die Ausbeutung der Biodiversität nicht mehr ganz so selbstverständlich ist wie früher, weil diese „Beiträge“ der Natur viele Formen annehmen können. Aber noch immer ist der meritokratische Gedanke, dass Biodiversität dann wertvoll ist, wenn sie „Leistungen“ erbringt, darin enthalten. Wenn beispielsweise sauberes Trinkwasser oder Honig ausschließlich als „Dienstleistungen“ von Biodiversität verstanden werden, ist dies problematisch: Diese Dienstleistungen werden damit Teil einer umfassenden Ökonomisierung vieler Lebensbereiche unter kapitalistischen Bedingungen. Wie der „sprachkompass.ch“ richtig feststellt, wird Biodiversität als „Dienstleisterin“ zwar personifiziert, jedoch nur hinsichtlich ihrer Pflichten, aber ohne Rechte, d.h. sie erhält weder eine Zahlung noch kann sie wählen, ob sie eine Leistung erbringen will oder nicht.[3] Die Kritik an der Ökonomisierung wurde vom IPBES aufgenommen und mit dem breiteren Konzept von „Nature’s Contribution to People“ ergänzt, wobei manchmal auch von „Nature’s Gifts to People“ gesprochen wird.[4] Ein simpler sprachlicher Trick, um sich von allfälligen Schuldgefühlen zu befreien: Biodiversität muss nicht bezahlt werden, sie macht es ja freiwillig als Geschenk!

Wie wir Biodiversität auf eine Weise personifizieren, dass das damit verbundene Narrativ uns möglichst aus der Verantwortung entlässt, kann man auch an der ebenso verbreiteten Rede der „invasiven Arten“ erkennen: Dass es eine Fachrichtung gibt, die „Invasionsbiologie“ heißt, suggeriert, dass es sich dabei um einen neutralen wissenschaftlichen terminus technicus handelt. Dabei handelt es sich ganz offensichtlich um eine Metapher, die zeigt, wie viel Zivilisations- und Kulturgeschichte in unserem Sprechen über Biodiversität stets implizit mitschwingt: Lateinisch „invadere“ bezeichnet das Eindringen militärischer Truppen in ein fremdes Gebiet mit der Absicht einer feindlichen Übernahme des Territoriums. Im Kalten Krieg kursiert die Angst vor einer kommunistischen Herrschaft etwa in der Formulierung einer „barbarian invasion of Europe“,[5] wie sie von Averell Harriman, dem US-Botschafter in Moskau, im Jahr 1945 geprägt wurde. In seinem für den Biodiversitätsdiskurs wegweisenden Buch The Ecology of Invasions by Animals and Plants spricht Charles S. Elton im Jahr 1958 davon, dass wir in einer „very explosive world“ leben (Elton 1958, S. 15). Damit meint er zuerst die Bedrohung durch die Atombomben – und überträgt diesen Kontext in einem zweiten Schritt auf die Ökologie: Es gebe auch ökologische Explosionen, die in einer plötzlichen unkontrollierten Ausbreitung gewisser Arten bestehen. Diesem Phänomen will Elton auf den Grund gehen und er benennt auch einen Schuldigen: „the Invaders“, also fremde Arten, die erfolgreich ein anderes Land unter Kontrolle bringen (ebd., S. 18). Eltons vom Zeitgeist geprägtes Narrativ hat sich bis heute durchgesetzt. Und auch wenn heute Definitionen von „alien invasive species“ sogleich benennen, dass die Pflanzen meist vom Menschen eingeführt wurden,[6] so bleibt dabei einerseits die latente Fremdenfeindlichkeit erhalten und es wird andererseits den Arten auch eine unheimliche Handlungsmacht zugeschrieben, die Ausdruck der menschlichen Angst vor dem Kontrollverlust ist: Die Personifikation als Invasoren unterstellt ihnen eine „böse“ Absicht; ihre Ausbreitung wird weder als ein natürlicher Vorgang angesehen noch anerkannt, dass sie auch auf die vom Menschen hergestellten Bedingungen reagieren – dabei ist es erwiesen, dass u.a. zunehmender Nährstoffeintrag und der Klimawandel, und damit wiederum menschengemachte Probleme, zur ungewünschten Ausbreitung führen.[7]

Fazit

Es ließe sich noch viel Kritisches zur Dominanz ökonomischer und militärischer Metaphern im Biodiversitätsdiskurs sagen. Aus Sicht der gender oder postcolonial studies ließe sich etwa anmerken, dass aktuell Sprechweisen angewendet werden, die stark mit patriarchalen und imperialen Strukturen verbunden sind. Bereits in dieser Kürze ist jedoch deutlich geworden, dass der Biodiversitätsdiskurs vermehrt ideologiekritische Analysen und ein ausgeprägteres kulturhistorisches Bewusstsein braucht, damit die Metaphern und Narrative aufgespürt werden können, die mit problematischen ethischen Positionen einhergehen oder eine Dämonisierung der Natur suggerieren. Sind sie einmal erkannt und zu Bewusstsein gebracht, könnte nach einem anderen sprachlichen Umgang gesucht werden: Hilfreich wäre bereits, die Rede von „invasiven“ Arten häufiger durch andere Begriffe wie „displaced species“ oder „potential harmful species“ zu ersetzen oder schlicht den Vorgang „sich ausbreitende eingeführte Arten“ zu beschreiben. Es müssen aber auch Metaphern und Narrative gefunden werden, die alternative Sichtweisen und damit auch andere Lösungen ermöglichen. Man kann die Narrative einmal umkehren und fragen: Was ist „People’s Contribution to Nature“? Und was können wir tun, um uns weniger „invasiv“ gegenüber den uns umgebenden Ökosystemen zu verhalten? So werden nicht zuletzt auch die Verantwortlichkeiten wieder zurechtgerückt werden.

Referenzen

Takacs, D. (1996): The Idea of Biodiversity. Philosophies of Paradise. John Hopkins University Press

Eser, U. (2001): Die Grenze zwischen Wissenschaft und Gesellschaft neu definieren. ‘Boundary work’ am Beispiel des Biodiversitätsbegriffs. In E. Höxtermann, J. Kaasch & M. Kaasch (Hg.): Berichte zur Geschichte und Theorie der Ökologie, 135–152. VWB

Elton, Ch.S. (1958): The Ecology of Invasions by Animals and Plants. Methuen. London.


[1] https://sprachkompass.ch/landschaft/biodiversitaet

[2] Ein aktuelles Beispiel: https://www.nfp82.ch/de

[3] In Bezug auf Landschaftsdienstleistungen: https://sprachkompass.ch/landschaft/landschaft-als-dienstleistung.

[4] https://zenodo.org/records/2616458

[5] https://www.google.ch/books/edition/Origins_of_the_Cold_War_1941_1949/SI7gepERrrEC?hl=de&gbpv=1&dq=harriman+invasion+cold+war&pg=PA132&printsec=frontcover. S. 132.

[6] https://www.cbd.int/invasive/terms.shtml

[7] https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1569843222003466


Autor*in

Claudia Keller

Dr. Claudia Keller ist Oberassistentin am Deutschen Seminar der Universität Zürich und Mitglied des URPP „Global Change and Biodiversity“. Sie arbeitet an einem Forschungsprojekt zu Biodiversitätsnarrativen in Wissenschaft und Literatur.

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