Mobilität

Lastenräder – Statussymbole oder ein Beitrag zur nachhaltigen Mobilität?

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Mobilität ist ein elementarer Teil unseres täglichen Lebens. Allerdings ist der Verkehrssektor einer der größten Verursacher von CO2-Emissionen in Deutschland. Um die geltenden Klimaschutzziele zu erreichen, ist eine Mobilitätswende dringend nötig. Im aktuellen Kontext der Kürzungen für Rad- und Bahnverkehr im Bundeshaushaltsbudget[1] sowie der Ablehnung der StVG-Reform durch den Bundesrat[2] wird einmal mehr deutlich, dass uns zu wenig Zeit bleibt, um auf die Anpassung der bestehenden und den Bau von neuen Infrastrukturen für klimafreundlichen Verkehr zu warten. Aktuelle Forschungsergebnisse (PendelLabor) zeigen zudem, dass ein Umstieg auf nachhaltigere Verkehrsmittel auch vorerst ohne diese Anpassungen möglich ist. Das setzt aber voraus, dass Menschen mehr darüber wissen, wie sie ihren Alltag „mit weniger Auto“ gestalten können. Wichtig ist zudem, dass sich ihr Umfeld, wie beispielsweise der Arbeitsplatz oder die Betreuungseinrichtung für Kinder, daran anpasst. Vor allem in größeren Städten ist in den vergangenen Jahren ein bemerkenswerter Trend zu beobachten: die zunehmende Nutzung von Lastenrädern.

Was sind eigentlich Lastenräder?

Lastenräder sind Fahrräder, die für den Transport von schweren Lasten, großen oder vielen Gegenständen und Menschen oder Haustieren optimiert sind. Es gibt sie in unterschiedlichen Ausführungen: mit zwei oder mehr Rädern, abschließbarer oder zusammenklappbarer Box, Sitzen für Kinder in der Transportbox oder hinter dem Sattel, mit Regenverdeck und oft ausgestattet mit einem Elektromotor[3].

Lastenräder sind wachstumsstärkste Fahrradmodellgruppe

Lastenräder haben vor allem im urbanen Raum viel Potenzial, eine Alternative zur Nutzung privater Pkws zu sein, weil sie den Transport von Menschen und Gegenständen erleichtern. Wirtschaftlich zählen sie bereits zu den wachstumsstärksten Fahrradmodellgruppen[4]. Studienergebnisse zeigen zudem, dass sich neben den Lastenradbesitzer*innen auch ein weiterer Anteil von 17 Prozent der Gesamtbevölkerung vorstellen kann, in Zukunft ein Lastenrad zu erwerben[5].

Abbildung 1: Verkauf von Lastenrädern in Deutschland in Tausend, schwarz = mit E-Motor, blau = ohne E-Motor (Statista 2023)
Abbildung 2: Einsatzzwecke von Lastenrädern laut Lastenradbesitzer*innen, Angaben in Prozent, *N=97, Mehrfachnennung möglich (Sinus 2023: 151)

Da es für die Mobilitätswende elementar ist, zu verstehen, wie und warum Menschen auch mit weniger privater Autonutzung ihre Mobilitätsbedürfnisse erfüllen, habe ich in meiner Masterarbeit die Motive der privaten Lastenradnutzung untersucht. Mein Ziel war es zu verstehen, warum Menschen Lastenräder nutzen, für wen die Nutzung aus welchen Gründen besonders geeignet ist und welche Bedeutung das Verkehrsmittel für die Befragten hat. Die Datenerhebung erfolgte über eine qualitative Interviewstudie mit Lastenradbesitzer*innen in Frankfurt am Main. Es wurden acht problemzentrierte Interviews durchgeführt, die im Anschluss nach dem Schema der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring[6] ausgewertet wurden.

Motive des materiellen Besitzes

Den theoretischen Rahmen der Untersuchung bildet das Modell des materiellen Besitzes nach Steg[7]. Dieses besagt, dass der Gebrauch materieller Güter neben instrumentellen Motiven auch durch affektive und symbolische Motive beeinflusst wird. Dabei werden Einstellungen hinsichtlich der Verkehrsmittelnutzung in drei Motivklassen eingeteilt: Instrumentelle Motive ergeben sich aus dem Nutzen, den ein Verkehrsmittel für Individuen zur Erfüllung ihrer Transportbedürfnisse bietet, affektive Motive verweisen auf Emotionen und den Erlebniswert bei der Verkehrsmittelnutzung. Symbolische Motive beziehen sich auf die sozialen Funktionen der Mobilität und dienen dazu, die eigene Persönlichkeit, Status oder Gruppenzugehörigkeit auszudrücken[8].

Instrumentelle Motive

Die Ergebnisse der Untersuchung zu den instrumentellen Motiven zeigen, dass bei der Lastenradnutzung die Hauptverantwortlichkeit für Sorge- bei häufig gleichzeitiger Lohnarbeit eine entscheidende Rolle spielt. Um diesen Aufgaben gerecht zu werden, sind zeitliche Unabhängigkeit, Geschwindigkeit und vielfältige Einsatzmöglichkeiten eines Verkehrsmittels wichtig. Auch heute noch sind es meist Frauen, die diese Doppelverantwortung tragen, was sich in meiner Untersuchung bestätigt hat.

Das Lastenrad ermöglicht den Nutzer*innen ein besseres Umgehen mit den räumlichen, zeitlichen und organisatorischen Herausforderungen des Alltags: Lastenräder bieten im urbanen Raum die Möglichkeit, unabhängig von den Fahrplänen des ÖPNV oder der Verfügbarkeit von Pkw-Parkplätzen Wegeketten mit mehreren Zwischenstopps zu bewältigen. So können Start- und Zielpunkt, z.B. Wohn- und Arbeitsort oder Spielplatz, sowie alle Zwischenstationen, z.B. Post oder Lebensmittelhandel, direkt, ohne Parkplatzsuche und Umstiege angefahren werden. Dabei können Kinder, Einkäufe, Arbeitsmaterialien etc. bei Bedarf vor Witterung geschützt transportiert werden.

„Meistens sind die Wege nicht isoliert, sondern immer in Kombi: Also von zu Hause zur Kita, zur Arbeit, zurück zur Kita und dann noch irgendwo auf ein Playdate für die Kleine. Und dann wieder nach Hause. Also dass du wirklich den ganzen Tag damit fährst. Und ich weiß gar nicht, wieviel Zeit ich für Parkplatzsuche brauchen würde, um das anders zu machen.“ (02_Gh_w_30-45)

Im eng getakteten Alltag dieser Menschen spielt zudem die Geschwindigkeit des Lastenrads eine große Rolle. Trotz voller Beladung mit Personen, Tieren und/oder Einkäufen ist durch den elektrischen Motor ein zügiges, aber dennoch komfortables Vorankommen möglich.

„Ein weiterer Vorteil, den ich stark sehe, ist das Thema Convenience, Bequemlichkeit. Also mit dem Fahrradhänger, mein Gott, an manchen Abenden bin ich echt verzweifelt, wenn man selbst platt ist und sich dann halt da einen abstrampelt. Und mit dem Lastenrad hat man halt diesen Motor. Das heißt, es ist einfach wie so ein bisschen Rückenwind. Man muss trotzdem noch strampeln, aber es ist halt nicht mehr unerträglich, sondern es ist wie dein Freund. Und manchmal ist es einfach auch schneller, ja? Also wenn ich mit zwei Kindern und Gepäck unterwegs bin, habe ich ja ganz schön Gewicht geladen und wenn ich dann halt diesen Motor hab, bin ich schneller als mit dem Fahrrad und der Hängerkombi.“ (01_Db_w_30-45)

Hinzu kommt der Aspekt der Sicherheit, denn im Vergleich zu einem klassischen Fahrrad mit Fahrradanhänger oder Kindersitz fühlen sich die Interviewpartner*innen, die häufig Kinder mit dem Lastenrad transportieren, mit dem Lastenrad im Straßenverkehr deutlich sicherer.

Für Personen, die nicht die Hauptverantwortung der Sorgearbeit tragen, ist vor allem die Option, bei Bedarf ihre Transportbedürfnisse erfüllen zu können, wichtig. Erreichbarkeit und Geschwindigkeit im urbanen Verkehr spielen für diese Gruppe ebenfalls eine wichtige Rolle. Die Attraktivität von Lastenrädern resultiert aus ihrem Vorteil, ein individuelles, schnelles und flexibles Verkehrsmittel zu sein, insbesondere beim Pendeln. Die Befragten betonen auch, dass das Lastenrad im Grunde die gleichen Eigenschaften wie ein Auto besitze, es jedoch in der Stadt deutlich schneller, unkomplizierter, günstiger und umweltfreundlicher sei.

Affektive Motive

Praktikabilität, Schnelligkeit und Multifunktionalität sind wichtige Eigenschaften von Lastenrädern. Die Befragung zeigt außerdem, dass Aspekte wie Fahrvergnügen, Zufriedenheit und Stolz ebenfalls wichtige Motive für die Nutzung von Lastenrädern sind. Diese Gefühle entstehen aus dem Genuss der Bewegung an der frischen Luft, der gemeinsamen Zeit mit den Kindern, durch Naturbeobachtungen, durch das Vorbeifahren an im Stau stehenden Autos oder durch die soziale Interaktion, die über das Lastenrad ermöglicht wird. Auch Stolz auf die Transportkapazität, Geschwindigkeit trotz voller Beladung oder die Option, auch ohne Motor auf Berge zu fahren, ist ein affektives Motiv der Lastenradnutzung. Insgesamt, so zeigt die Untersuchung, ist die Erfüllung des nahräumlichen Mobilitätsbedürfnisses mit dem privaten Lastenrad stark mit positiven emotionalen Reaktionen und hedonischem Erlebniswert verknüpft.

Symbolische Motive

Die Interviewergebnisse – aber auch aktuelle Debatten[9] – zeigen, dass die Lastenradnutzung sowohl von den Lastenradbesitzer*innen selbst als auch von ihrem Umfeld symbolisch bewertet wird. Die private Lastenradnutzung erfüllt Bedürfnisse nach Ausdruck von Individualität und Distinktion. Die am häufigsten thematisierte symbolische Zuschreibung zum Lastenrad stellt die des hochpreisigen Objekts dar, welches sich nur Personen mit überdurchschnittlich hohem Einkommen leisten, die sich gegebenenfalls nicht aus finanziellen Gründen zwischen einem privaten Auto und einem Lastenrad entscheiden müssen. Des Weiteren wird Lastenradnutzung insbesondere gegenüber der Autonutzung in der Stadt als moralisch höherwertiger und rationaler verstanden. Sie symbolisiert damit auch die Selbstwahrnehmung der Nutzer*innen als Botschafter*innen einer rationalen Verkehrsmittelwahl. Lastenradbesitz und -nutzung können zudem auch persönliche Werte ausdrücken: Nachhaltigkeit und die damit verbundene Mobilitätswende sind wichtige Parameter für die Lastenradbesitzer*innen, auch wenn sie für die Mehrheit der Interviewpartner*innen nicht kaufentscheidend war. Dennoch ist aktives Engagement für eine nachhaltige Mobilitätswende für fast alle selbstverständlich und die Lastenradnutzung ein Teil der Umsetzung ihrer nachhaltigkeitsbezogenen Werte.

Insgesamt erhöhen diese symbolischen Funktionen die Attraktivität von Lastenrädern für eine spezifische soziale Gruppe. Die Interviewpartner*innen selbst charakterisieren die typischen Lastenradnutzer*innen in Deutschland als wohlhabende, hochgebildete Eltern von jungen Kindern, welche einen Lebensstil mit Fokus auf Gesundheit und Wohlbefinden führen, auf den Distinktionswert von Objekten achten und sich in einem sozialen Umfeld bewegen, welches an Nachhaltigkeitszielen orientiertes Verhalten wertschätzt.

Alltagstauglich und nachhaltig mobil – ein Fazit

Die Gründe für die wachsende Beliebtheit von Lastenrädern sind vielfältig. Insbesondere im urbanen Raum sind diese Räder für Menschen, deren Mobilitätsbedürfnisse durch Zeitsouveränität, Geschwindigkeit und Multifunktionalität geprägt sind, eine große Unterstützung im Alltag. Zudem bieten Lastenräder bei Menschen, die die Verantwortung für Sorgearbeit tragen, die Möglichkeit, flexibel und nachhaltig mobil zu sein. Damit kann über die Verfügbarkeit eines Lastenrads und dessen Vorteile das Auto als selbstverständlicher Bestandteil familiärer Lebensweise reduziert werden. Die Nutzung von Lastenrädern – auch das zeigt meine Untersuchung – ist stark mit positiven Emotionen wie Vergnügen, Zufriedenheit und Stolz verbunden. Die Einblicke in die symbolischen Motive der Lastenradnutzung betonen die Wichtigkeit der gesellschaftlichen Wahrnehmung von Verkehrsmitteln und zeigen, wie diese Wahrnehmung wiederum die Verkehrsmittelwahl beeinflussen kann. Dass nicht mehr nur ressourcenintensive Pkw als Statussymbol dienen können, sondern inzwischen auch Lastenräder, kann sich dabei positiv auf die Mobilitätswende auswirken.

Die Gründe, warum Lastenräder in einigen sozioökonomischen Gruppen negativ angesehen und sogar zum Feindbild stilisiert werden, machen die Untersuchungsergebnisse ebenfalls verständlich: Lastenräder werden teils als ökonomisches und soziales Statussymbol gesehen, das für einen auf Gesundheit und Wohlbefinden, aber auch Distinktion ausgerichteten Lebensstil einer Gruppe Hochgebildeter steht. Damit treten die Nutzer*innen von Lastenrädern in das zum Teil hoch emotional geführte Ringen um Platz im öffentlichen (Straßen-)Raum ein. Diese Konflikte werden möglicherweise abnehmen, wenn sich das Lastenrad auch in der kommerziellen Logistik weiterverbreitet und es über Sharingangebote und einen Gebrauchtmarkt leichteren Zugang zu dem Verkehrsmittel gibt.


[1] https://www.zeit.de/mobilitaet/2024-01/radverkehr-sparplaene-verkehrsministerium-verkehrswende-hannover

[2] https://www.adfc.de/neuigkeit/bundesrat-blockiert-stvg-reform

[3] Carracedo, D., & Mostofi, H. (2022). Electric cargo bikes in urban areas: A new mobility option for private transportation. Transportation Research Interdisciplinary Perspectives, 16, 100705

[4] Statista (2023). Absatz von Lastenrädern in Deutschland von 2018 bis 2022 https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1381784/umfrage/absatz-von-lastenraedern-in-deutschland/

[5] Sinus (2023). Fahrrad-Monitor Deutschland 2023. Ergebnisse einer repräsentativen Online-Befragung. Sinus Institut Markt- und Sozialforschung, Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, Heidelberg

[6] Mayring P, 2010. Qualitative Inhaltsanalyse: Grundlagen und Techniken (11. aktualisierte und überarbeitete Auflage). Beltz, Weinheim

[7] Steg, L. (2005). Car use: lust and must. Instrumental, symbolic and affective motives for car use. Transportation Research Part A: Policy and Practice, 39 (2-3), 147–162

[8] Hunecke M, 2015. Mobilitätsverhalten verstehen und verändern. Psychologische Beiträge zur interdisziplinären Mobilitätsforschung. Springer Fachmedien, Wiesbaden

[9] https://www.faz.net/aktuell/wissen/geist-soziales/zwei-forschergruppen-beraten-ueber-polarisierung-19328057.html


Autor*in

Laura Trost

Laura Trost ist seit April 2023 wissenschaftliche Mitarbeiterin am ISOE. Ihren Master in Humangeographie sowie ihren Bachelor in Politikwissenschaft absolvierte sie an der Goethe-Universität Frankfurt. Im Master setzte sie einen Schwerpunkt auf geographische Stadtforschung und vertiefte das Nebenfach Mobilitätsforschung. In ihrer Forschungsarbeit an der Arbeitsgruppe Mobilität an der Goethe-Universität beschäftigte sie sich mit Auswirkungen neuer Radverkehrsinfrastruktur auf die wahrgenommene Lebensqualität der Bewohner*innenschaft in Frankfurt. In ihrer Masterarbeit untersuchte sie die instrumentellen, affektiven und symbolischen Motive der privaten Lastenradnutzung.

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