Transdisziplinarität Klimaschutz Stadt/Region

Erlaubt, machbar, utopisch? Aus dem Forschungstagebuch eines Reallabors

Ausschnitt des Buchcovers "Erlaubt, machbar, utopisch?"

Illustration: Benjamin Gottwald (© oekom verlag)

Wer sich als Wissenschaftler*in aus der Grundlagenforschung in das Abenteuer der transdisziplinären Forschung begibt, muss sich umstellen und mit neuen Herausforderungen klarkommen. Das betrifft nicht nur die wissenschaftlichen Methoden, sondern auch das praktische „Überleben“ in einer Sozialwelt, die sich von der akademischen Welt oft dramatisch unterscheidet. Das Projektteam „Klimafreundliches Lokstedt“ hat sich nach Ende der Projektlaufzeit gemeinsam zurückgelehnt, die Projekterfahrungen aus der Distanz analysiert und mit einem Augenzwinkern ein Buch geschrieben, das es sich am Beginn des Projekts selbst gewünscht hätte.

Im Jahr 2016 startete im Hamburger Stadtteil Lokstedt ein transdisziplinäres Forschungsprojekt zur klimafreundlichen Stadtteilentwicklung. In Form eines Reallabors sollte gemeinsam mit dem zuständigen Bezirksamt, der Umweltbehörde, lokalen Initiativen und Praxispartner*innen sowie einem weiteren wissenschaftlichen Partner ein Reallabor zu den Themen Haushaltsenergie, Mobilität und Abfallwirtschaft durchgeführt werden. Vom ersten Arbeitstag an kam es dabei immer wieder zu lustigen und zum Teil absurden Situationen, die für das Projektteam zumindest in dieser Geballtheit überraschend waren. Früh kam der Gedanke auf, dass man daraus auch jenseits der unmittelbaren Forschungspublikationen eine Art Tagebuch machen könnte, das einen Blick hinter die Kulissen und damit auf den ganz normalen Wahnsinn eines ganz normalen Reallabors gewährt. Dieses mit einem Augenzwinkern verfasste Buch hat vielleicht ein kleines bisschen auch eine therapeutische Funktion, aber vor allem geht es uns, dem Forschungsteam, um eine realistische Einordnung der Prozesse, mit denen in einem Reallabor immer zu rechnen ist. Der Illustrator Benjamin Gottwald half uns dabei, das Erlebte in eine humoristische Bildsprache zu übersetzen.

Erwartungen

Zu Beginn des Projekts stehen große Erwartungen. Nicht umsonst stellen verschiedene Fördereinrichtungen Geld für die Durchführung von Reallaboren und anderen transdisziplinären Forschungsformaten zur Verfügung. Anders als die oft sehr abstrakte und distanzierte Herangehensweise, die in Projekten der Grundlagenforschung so üblich ist, befinden sich die Forschenden in Reallaboren von Beginn an „mitten im Getümmel“: Sie müssen sich nicht nur mit Partner*innen innerhalb des Projekts verständigen, die aus systematischen Gründen oft eine völlig andere Sprache sprechen, sondern müssen sich auch selbst permanent einer Vielfalt an Bürger*innen erklären und verständlich machen, die im Zweifelsfall nicht alle akademisch gebildet und daher mit den Themen und Methoden der sozialwissenschaftlichen Forschung nicht vertraut sind. Dennoch sind die fachlichen wie auch persönlichen Erwartungen am Anfang hoch, auch wenn sie für jedes Teammitglied und jede*n Projektpartner*in unterschiedlich ausfallen.

Erlebnisse

Den Kern des Buches machen zwölf Episoden aus, die unsere Erlebnisse in dem Projekt „Klimafreundliches Lokstedt“ zusammenfassen. Hier beschreiben wir, wie aufregend eine Beteiligung der Öffentlichkeit sein kann und wie die Bewohner*innen des Stadtteils Lokstedt über Klimawandel denken, wie sie sich in das Reallabor einbringen (oder auch nicht) und welche Verwaltungsregeln dazu führen, dass der Teufel doch immer wieder im Detail der praktischen Umsetzung steckt. Es geht um absurde Situationen mit den Projektpartner*innen, mit den Bewohner*innen sowie innerhalb des Projektteams. Eine wichtige Quelle der Erlebnisse sind auch immer wieder die sehr spezifischen Eigenlogiken, denen Mitarbeiter*innen von Universitäten, Bezirksämtern und zivilgesellschaftlichen Vereinen folgen. Über viele Merkwürdigkeiten haben wir gemeinsam mit den Partner*innen aus dem Bezirksamt lachen können – das hilft für eine vertrauensvolle Arbeitsbeziehung ungemein.

Erklärungen

Natürlich ist das Buch nicht nur lustig. Wir versuchen soziologische Erklärungen dafür zu finden, warum Reallabore typischerweise immer wieder zu den beschriebenen Erlebnissen führen. Die bereits genannten institutionellen Eigenlogiken erklären schon sehr viel. Außerdem hängen der Verlauf und die Ergebnisse von Reallaboren sehr von den lokalen Eigenarten ab – im Grunde ist daher jedes Reallabor prinzipiell einzigartig. Die im Buch beschriebenen Erlebnis-Episoden zeigen, dass es sich jeweils um sehr komplexe Settings handelt, in denen die Forschenden handeln und kommunizieren müssen. Schließlich kommen wir Forschende neu in eine bereits bestehende Situation hinein und lokale, oftmals unterschwellige Konflikte und Beziehungen müssen erst einmal identifiziert und verstanden werden. Worum es geht, wenn Klimaschutz im Stadtteil betrieben werden soll, ist somit keineswegs eindeutig, da vorerst verstanden werden muss, worum es den Bewohner*innen und den Projektpartner*innen geht. Was in der Theorie gut klingt, muss sich im echten Leben erstmal bewähren. Missverständnisse und Konflikte mögen zunächst frustrierend sein, aber an ihnen kann das Projekt wachsen und Wandel wird angeregt.

Ergebnisse

Ziel des Reallabors in Lokstedt war es, lokale Transformationsagenden zu erarbeiten. Diese sollten durch einen umfangreichen Diskussionsprozess mit den Bürger*innen durch mehrere Etappen hindurch sozial robust und damit lokal anschlussfähig gemacht werden. Nach Abschluss des Reallabors stellten wir uns die Frage, ob sich der aufwändige Prozess gelohnt hat. Was sind die vorzeigbaren Ergebnisse eines solchen Projekts? Unmittelbare CO2-Einsparungen können wir nicht vorweisen, das war aber auch nicht das Ziel dieses Reallabors. Vielmehr haben wir einen wichtigen Beitrag zu einem breiteren gesellschaftlichen Veränderungsprozess geleistet: Im Stadtteil Lokstedt haben Bürger*innen und Projektpartner*innen einen Lernprozess begonnen, eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Akteur*innen der Wissenschaft, Verwaltung und Zivilgesellschaft wurde geübt und neue Vernetzungen zwischen Initiativen, Institutionen und der Verwaltung des Stadtteils sind entstanden. Damit wurde eine wichtige Grundlage für weitere Schritte in der konkreten und oft konflikthaften Umsetzung von Transformationen im Quartier gelegt. Unser Fazit ist daher positiv – und: Wir würden es wieder tun.


Anita Engels, Hauke Feddersen, Joshua Kaewnetara, Franziska Krieger, Kerstin Walz (2023): Erlaubt, machbar, utopisch? Aus dem Forschungstagebuch eines Projekts zur klimafreundlichen Stadt. München: oekom verlag


Autor*in

Anita Engels

Professorin für Soziologie an der Universität Hamburg, ist seit Mitte der 1990er Jahre mit soziologischer Klimawandelforschung befasst. Über ihr erstes transdisziplinäres Projekt hat sie mit ihren ehemaligen Mitarbeiter*innen Hauke Feddersen, Joshua Kaewnetara, Franziska Krieger und Kerstin Walz ein leicht zugängliches Buch geschrieben.

2 Kommentare zu “Erlaubt, machbar, utopisch? Aus dem Forschungstagebuch eines Reallabors

  1. Rainer Kirmse , Altenburg

    ZUKUNFTSVISIONEN

    Der Mensch macht sich die Erde Untertan,
    getrieben vom ewigen Wachstumswahn.
    Autos werden größer, Straßen breiter,
    die Wälder dagegen schrumpfen weiter.

    Es ist höchste Zeit für uns, zu handeln,
    endlich uns’ren Lebensstil zu wandeln.
    Was nützt uns Wohlstand und alles Geld,
    wenn am Ende kollabiert die Welt?

    Man produziert und produziert,
    plündert Ressourcen ungeniert.
    Gewinnmaximierung ist Pflicht,
    die intakte Natur zählt nicht.
    Börsenkurse steh’n im Fokus,
    Umweltschutz in den Lokus.

    Plastikflut und Wegwerftrend,
    man konsumiert permanent.
    Nur unser ständiges Kaufen
    hält das System am Laufen.
    Unser westlicher Lebensstil
    taugt nicht als Menschheitsziel.

    Die Jagd nach ewigem Wachstum
    bringt letztlich den Planeten um.
    Das oberste Gebot der Zeit
    muss heißen Nachhaltigkeit.
    Statt nur nach Profit zu streben,
    im Einklang mit der Natur leben.

    Zu viele Buchen und Eichen
    mussten schon der Kohle weichen.
    Retten wir den herrlichen Wald,
    bewahren die Artenvielfalt.
    Kämpfen wir für Mutter Erde,
    dass sie nicht zur Wüste werde.

    Der Mensch, dieses kluge Wesen
    kann im Gesicht der Erde lesen.
    Er sieht die drohende Gefahr,
    spürt die Erwärmung Jahr für Jahr.
    Homo sapiens muss aufwachen,
    seine Hausaufgaben machen.

    Wir alle stehen in der Pflicht,
    maßvoll leben ist kein Verzicht.
    Teilen und Second Hand der Trend,
    Repair vor Neukauf konsequent.
    Bei allem etwas Enthaltsamkeit,
    nehmen wir uns die Freiheit.

    Gegen wildes Spekulieren
    muss man Banken regulieren.
    Gegen Armut braucht es Gelder,
    nicht für Managergehälter.
    Wir brauchen die Mindestrente
    und der Hungerlöhne Ende.

    Für die Zukunft des Planeten,
    weg mit Panzern und Raketen.
    Lasst die weißen Tauben fliegen,
    Aggression und Hass besiegen.
    Die Leute legen ab den Neid,
    die Religionen ihren Streit.

    Fromme und Heiden sind vereint,
    uns’re Sonne für alle scheint.
    Keiner ist des Anderen Knecht,
    für alle gilt das Menschenrecht.
    Jeder kann glauben, was er will,
    Frieden und Freiheit unser Ziel.

    Rainer Kirmse , Altenburg

    Herzliche Grüße aus Thüringen

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