Corona Mobilität

Wie die Corona-Pandemie die Verkehrswende beeinflusst

U-Bahn-Station Römer, Frankfurt am Main

U-Bahn-Station Römer, Frankfurt am Main. Foto: EKH-Pictures – stock.adobe.com

Die Corona-Pandemie hat zu einem einschneidenden Wandel des Verkehrsverhaltens geführt. Zu Fuß gehen, Fahrrad und Auto fahren sind wichtiger geworden, weil sie als „Corona-sicher“ gelten. Der ÖPNV, dem ein unsicheres Image anhaftet, hat einen Einbruch erlebt. Pendelfahrten und Dienstreisen konnten durch mobiles Arbeiten ersetzt werden. Diese neuen Arbeitsformen sollten unter dem Aspekt nachhaltiger Mobilität weiter erforscht werden. Dabei geht es auch um Beziehungs- und Geschlechterverhältnisse, um neue Arbeitsformen und um den Einsatz von Augmented Reality.

Behaviour Change

In der Forschung zu nachhaltiger Mobilität geht es immer auch um die Frage, wie das Verkehrsverhalten der Menschen im Alltag verändert werden kann.[1] Offensichtlich ist: Es müssen sich die Verkehrsinfrastrukturen, die bauliche Planung, die Technik und die Gesetze ändern, wenn wir eine Verkehrswende wirklich wollen. Aber genauso wichtig ist das Aufbrechen der alltäglichen Praxisformen, der verinnerlichten Routinen, der eingefahrenen Verhaltensweisen. Nur so wird es möglich, zu einer multioptionalen Verkehrsmittelwahl zu kommen, also einer Verknüpfung aller Verkehrsmittel mit deutlich weniger Automobilität.

Starker Staat und düstere Motive

Nun machen wir im Corona-Lockdown plötzlich die Erfahrung, dass sich Verkehrsverhalten kurzfristig grundlegend und einschneidend ändert. Aber unter welchen Bedingungen? Erstens: Der Staat handelt schnell und wirksam. Wir erleben – im Unterschied zum sonstigen Handeln des Staates in Mobilitätsfragen – einen starken Staat. Die zweite Bedingung der radikalen Verhaltensveränderung: eine starke Motivation. Beim ersten Lockdown und vielleicht weniger schockierend auch beim zweiten nehmen die meisten Menschen eine lebensbedrohliche Situation wahr. Diese wird durch beängstigende Bilder des Fernsehens, Berichte in Zeitungen und sozialen Netzwerken vermittelt, in Talkshows diskutiert und durch eine sich schnell professionalisierende Wissenschaftskommunikation unterstützt. Es werden bei den Menschen traurige, Angst machende Motive aktiviert. Unser verändertes Verhalten ist also von Furcht-Motiven getrieben. Das Gegenteil dessen, was wir uns für eine optimistische, auf den Genuss neuer Verhaltensoptionen zielende Verkehrswende erhoffen.

Was hat Corona hinsichtlich des Verkehrsverhaltens bewirkt?

Was hat dieser schockierende Einbruch in unsere Alltagswelt bewirkt? Wie die Mobicor[2]-Daten von Infas/WZB/Motiontag zeigen, erleben wir eine Reduktion der Personenkilometer um bis zu 70% – am stärksten beim ÖPNV und bei den Wegen zur Arbeit. (infas.de/neuigkeit/mobilitaet-und-corona-wie-veraendert-sich-der-alltagsverkehr) Im Schnitt gehen 32% ins Homeoffice, diejenigen mit höherem sozialen Status sogar zu 40%. Das Internet ersetzt hier also das Pendeln. Aber offenbar ist diese Möglichkeit sozial ungleich verteilt. Die Dienstleistungsberufe der Informationsverarbeitung sind hier im Vorteil. Auch Dienstreisen zu Projekttreffen, Kongresse und Workshops werden jetzt mithilfe von Online-Tools durchgeführt. Gleichzeitig gehen die Menschen mehr zu Fuß – der Zufuß-Anteil steigt im ersten Lockdown von 20% auf 27% aller Wege. Das nahe Umfeld wird für die Freizeit und für Einkäufe des täglichen Bedarfs neu entdeckt. Der Onlinehandel boomt. Die Fahrradläden sind leer gekauft. In den Parks und Grünanlagen wird um die Fußgängergruppen herum Slalom gefahren.

Corona-sichere und unsichere Verkehrsmittel

Was ist die Folge? In der Wahrnehmung bildet sich international eine Neu-Abgrenzung der Verkehrsmittel heraus. Danach gibt es jetzt Hochrisiko-Verkehrsmittel und Niedrigrisiko-Fortbewegungsformen. Letztere sind jene, mit denen wir individuell privat unterwegs sein und die wir hinsichtlich Distanz und Hygiene individuell kontrollieren können. Dazu zählen das Zufußgehen, Fahrrad-, E-Bike-, Roller- und vor allem das private Autofahren. Als Hochrisiko-Verkehrsmittel gelten jetzt der kollektiv genutzte ÖPNV sowie Sharing- und Pooling-Autos. (bcg.com/de-de/publications/2020/how-covid-19-will-shape-urban-mobility) Unter dem Gesichtspunkt einer umweltfreundlichen Mobilität ist das ein widersprüchlicher Befund: Wir erleben eine Renaissance des privaten Automobils auf der einen und große Chancen für das Fahrrad und die Neuentdeckung des Zufußgehens auf der anderen Seite.

Dienstreise-Verkehrsvermeidung

Wie ist es bei den Dienstreisen? Hier zeigt sich, dass eine große Verkehrsverlagerung ins Internet stattgefunden hat. Unternehmen sehen hier eine große Chance für Kosteneinsparungen. Laut Fraunhofer-IAO tendieren 95% der Unternehmen dazu, Dienstreisen in Zukunft kritisch zu hinterfragen – 59% sind sich da sogar „sehr sicher“. (publica.fraunhofer.de/eprints/urn_nbn_de_0011-n-5934454.pdf) Zu ähnlichen Ergebnissen kommt das ifo-Institut: 57% der befragten Unternehmen halten es für wahrscheinlich, dass sie ihre Geschäftsreisen in Zukunft reduzieren. (ifo.de/node/56292)

Bevor die Unternehmen loslegen, stellt sich die Frage, wie viel reisefreies Konferieren, welches Maß digitaler Verkehrsvermeidung möglich ist, ohne dass Qualität und Erfolg der Arbeit sowie menschliche Interaktion leiden. Wo ist die Grenze, nach der wir wieder Face-to-Face-Kontakte benötigen? Werden Programme entwickelt, die uns dabei helfen, mit unseren Kontaktpersonen in eine lebendige, auch informelle, kreative Kommunikation zu kommen? Virtual- und Augmented-Reality-Welten sowie Hologramm-Projektionen werden bereits in verschiedenen Bereichen z.T. spektakulär eingesetzt. (aspekteins.com/einsatzmoeglichkeiten-von-vr-und-ar-auf-konferenzen-und-veranstaltungen)

Es ist wahrscheinlich, dass diese Techniken bald bezahlbar in der alltäglichen Business-Kommunikation eingesetzt werden können. Dann müssen wir mit unseren Konferenzpartner*innen in der Ferne nicht immer nur angestrengt am Bildschirm diskutieren, sondern können entspannt mit ihnen Kaffee trinken, plaudern, Networking betreiben, informelle Gespräche führen, wie wir es aus der Face-to-Face-Welt gewohnt sind. Und nutzen wir dann – wie häufig schon praktiziert – überall die Abwärme der Rechenzentren und Serverfarmen, deren Energieverbrauch ständig steigt?

Pendeln

Beim beruflichen Pendeln wird es zunächst einmal darum gehen, den ÖV neu zu erfinden. Nötig ist ein staatliches Investitionsprogramm, das es den Betreibern möglich macht, ihn attraktiv, sauber, hygienisch, sicher zu machen und ihn von seinem Covid-Imagemakel zu befreien.

Auch beim Pendeln gibt es die neuen Erfahrungen mit digitaler Arbeitsorganisation. In der Infas/WZB/Motiontag-Studie wird zurecht darauf hingewiesen, dass es sich dabei tendenziell um privilegierte Berufe handelt. Dennoch sollten die in den Homeoffices entstanden Erfahrungen mitgenommen und – forscherisch begleitet – weitergetrieben werden. Wir haben gelernt, dass auch hier das mobile Arbeiten Verkehrseinsparungen ermöglicht. Hier gilt es, weiter zu experimentieren und zu erforschen, wie viel Homeoffice möglich, wie viel gewollt ist und wo – unter dem Aspekt wünschenswerter Beziehungs-, Familien- und Geschlechterverhältnisse – die Grenze ist. Welcher Grad der Vermischung bzw. Trennung von Berufs-, Freizeit- und Privatsphäre ist adäquat? Und schließlich unter dem Aspekt der Arbeitsverhältnisse: Welche betriebliche Kultur z.B. von Vertrauensarbeitszeiten ist notwendig, damit die Arbeitnehmer aus dem Zugriff der Arbeitszeitkontrolle des 18. Jahrhunderts entlassen werden können. Aber auch: Wie viel eigener Arbeitsraum, getrennt von der Privatsphäre, muss garantiert und finanziert sein, damit konzentrierte Arbeit, Erholung, gute Geschlechterverhältnisse und Beziehungsbalance gelingen? Wo brauchen wir den Face-to-Face-Kontakt zu Kolleg*innen, um das Informelle, den Witz, die Ironie, die Subversion zu erhalten, die so wichtig für Kreativität ist. Um all das herauszufinden, benötigen wir eine Zusammenarbeit von Gewerkschaften, Arbeitnehmer*innen, Unternehmen, Mobilitäts- und Arbeitsforscher*innen sowie IT-Entwickler*innen.

Fazit

Bezogen auf Mobilität und Verkehr konfrontiert uns die Pandemie mit widersprüchlichen Erfahrungen. Auf der einen Seite sehen wir eine Meidung des ÖV und einen regressiven Rückzug in das kontrollierbare Reich des privaten Autos. Auf der anderen Seite fühlen wir uns ermuntert, mehr zu Fuß zu gehen und Fahrrad zu fahren. Es ist wichtig, jetzt schon dafür zu sorgen, dass die vielen angeschafften Fahrräder nach der Pandemie auch wirklich genutzt werden, indem die Infrastruktur ausgebaut wird.

Was wir hinsichtlich mobiler Arbeit, Video-Besprechungen und -Konferenzen gelernt haben, ist ein riesiger Schritt in Richtung möglicher Verkehrsvermeidung. Aber was davon für die Zeit nach Corona beibehalten oder in höherer kommunikativer Qualität sogar noch ausgebaut werden kann, ist noch gänzlich unerforscht. Es stellt sich die Frage, wie viel und welche Formen der Arbeit zu Hause praktiziert werden können, ohne dass die Rollenvermischung und der Platzmangel zu einer Zumutung für die Haushaltsmitglieder werden. Und wir müssen herausfinden, wie Meetings und Konferenzen so gestaltet werden können, dass sie nicht unter dem Einfluss der digitalen Disziplinierung zu starren Ritualen, sondern zu Phantasie und Kreativität fördernden Erlebnissen werden.

[1] Wie unterscheiden zwischen Verkehrsverhalten und Mobilität. Mobilität ist (das Potenzial der) Beweglichkeit zur Bedürfniserfüllung. Verkehr ist die per Infrastruktur, Verkehrsmittel und Handlung realisierte Bewegung im Raum. Bedürfnisse können mit mehr oder weniger Verkehr, mit mehr oder weniger Belastungen erfüllt werden. Weniger Verkehrsbelastung bedeutet nicht notwendig weniger Mobilität.

[2] In dem vom BMBF geförderten Projekt Mobicor untersuchen Infas/WZB und Motiontag mithilfe von Trackingdaten das Verkehrsverhalten in Zeiten von Corona.

Autor*in

Konrad Götz

Konrad Götz ist empirisch orientierter Mobilitäts- und Lebensstilforscher. Seit 1995 war er als Wissenschaftler in unterschiedlichen Positionen – darunter als Leiter der Mobilitätsforschung – für das ISOE tätig. Heute ist er freier Mitarbeiter des Forschungsschwerpunkts Mobilität und Urbane Räume und Berater des ISOE. Vor seiner Tätigkeit am ISOE war er unter anderem Mitarbeiter der Sozialwissenschaftlichen Projektgruppe München im Programm „Humanisierung der Arbeitswelt“ und Marktforscher am Sinus-Institut in Heidelberg. Seine Dissertation an der Frankfurter Goethe-Universität ist unter dem Titel „Freizeitmobilität im Alltag – oder Disponible Zeit, Auszeit, Eigenzeit – warum wir in der Freizeit raus müssen“ erschienen.

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