Konsum Plastik

Quadratisch, praktisch, unvermeidbar? Schwierigkeiten und Potenziale der Reduktion von Verpackungsmüll im Lebensmittelhandel

Gelbe Paprika in Plastik verpackt (Foto: Photoboyko - stock.adobe.com)

Foto: Photoboyko - stock.adobe.com

Plastikmüll aus Verpackungen lässt sich mittlerweile überall finden: in Naturschutzgebieten, Flüssen, Seen, Ozeanen, in Wäldern, an Stränden, ja selbst in der Antarktis. Dass auch eine breite gesellschaftliche Öffentlichkeit diese Entwicklung mit Sorge betrachtet, zeigt das Ergebnis einer von Bundesumweltministerium und Umweltbundesamt herausgegebenen Umweltbewusstseinsstudie. In der repräsentativen Studie von 2016 benennen die Befragten „Plastik in den Weltmeeren“ noch vor dem Klimawandel als wichtigstes gegenwärtiges Umweltproblem.

Auch innerhalb des Lebensmittelversorgungssystems wird das Problem Plastikmüll verstärkt thematisiert und bearbeitet, wie Kampagnen von Rewe, Aldi und anderen zeigen. Warum gelingt es jedoch trotz gesteigertem Problembewusstsein nicht, den Verpackungsverbrauch und die Mengen an Verpackungsmüll im Lebensmittelhandel zu reduzieren? Diese Frage stand am Beginn meines Dissertationsprojektes. Sie ist keine rein wissenschaftliche Frage, sondern im Sinne der transdisziplinären Forschungspraxis eine Frage, die sich auch Praxisakteure immer wieder stellen beziehungsweise mit deren Folgen sie konfrontiert sind. In vielfältigen Gesprächen mit unterschiedlichsten Akteuren entlang der Lieferkette – von Supermarktbetreiber*innen bis hin zu Nachhaltigkeitsmanager*innen und Produkthersteller*innen – kam immer wieder eine Diskrepanz zwischen hohem Problembewusstsein und fehlender konkreter Handlungsmacht zum Ausdruck.

Ausgehend von dieser Problemstellung untersuchte ich in meiner Dissertation anhand einer ethnographischen Analyse in zwei Fallbeispielen die Schwierigkeiten und Potenziale von Verpackungsmüllvermeidung im Lebensmittelsektor. Als teilnehmender Beobachter begleitete und unterstützte ich Angestellte in einem Supermarkt, einem Unverpackt-Laden und einem Bio-Großhändler bei ihrer alltäglichen Arbeit. Ich wollte also vor Ort und von innen heraus nachvollziehen, welche Rolle Verpackung in ihrem Arbeitsalltag spielt und welche wissenschaftlichen und praktischen Schlüsse sich darauf für Vermeidungsvorhaben ziehen lassen. In diesen Beobachtungen bin ich im Kern zwei Forschungsfragen nachgegangen, deren Beantwortung essenziell für die Entwicklung praktischer Strategien zur Reduktion von Verpackungsmüll ist: Erstens, wie wird im Arbeitsalltag mit (Plastik-)Verpackungen gearbeitet und welche Funktionen erfüllen Verpackungen in diesen Praktiken? Und zweitens, wie wird im Lebensmittelhandel an Lösungen der ökologischen Probleme durch (Plastik-)Verpackungen gearbeitet und welche Hemmnisse treten dabei auf, insbesondere in Bezug auf Vermeidungsstrategien?

Verpackungen sind essenziell für das System der Lebensmittelversorgung

Was sich in den Beobachtungen und Analysen schnell zeigte: Verpackungen sind essenzielle Bestandteile in zentralen Arbeitspraktiken entlang des Lebensmittelversorgungsystems. Immer wieder wird ein-, aus- und umgepackt. Verpackungen werden verladen, gescannt, geprüft und gestapelt. Die Schwierigkeit, Verpackungen wegzulassen, ist zu einem großen Teil ihrer Vielseitigkeit geschuldet. Insbesondere ihre Vermittlerrolle in ausdifferenzierten Lebensmittelversorgungssystemen macht es schwer, Verpackungen wegzulassen und damit Verpackungsmüll zu reduzieren: Verpackungen helfen, Prozesse über verschiedene Orte, Zeitpunkte und Akteure hinweg zu organisieren und nachvollziehbar zu halten. Das beinhaltet beispielsweise die Platzierung und Aufbereitung der Produkte im Regal als stapelbare und repräsentationsfähige Waren, die Evaluation von Produktqualitäten und Warenströmen über Frischesiegel und Barcodes sowie die Repräsentation zentraler Qualitäten eines guten Supermarktes, wie etwa die Fülle und Frische des Sortiments. Verpackungen sind in diesen Praktiken nicht nur ein vielgenutztes Werkzeug zum Umgang mit Produkten, sie fungieren auch als Arbeitsanleitungen für Arbeiter*innen oder als Teile der hybriden, physisch-digitalen Infrastruktur des Warenwirtschaftssystems. Sie sind damit eine zentrale Voraussetzung für gegenwärtige Supermärkte mit Selbstbedienungsverkauf und großskaligen Logistikprozessen. Dementsprechend muss das Vermeiden von Verpackungen im Lebensmittelhandel mit grundlegenden Änderungen der konkreten Arbeits- und Konsumpraktiken einhergehen. Dazu ist eine Reflexion der benannten Verpackungsfunktionen unumgänglich. Zu diesem Zweck habe ich auf Basis meiner Analyseergebnisse eine Heuristik entwickelt, die anhand der Metapher von Köperteilen aufzeigt, wie Verpackungen Produkte an die Erfordernisse der Praktiken des Lebensmittelversorgungsystems anpassen und dabei zum Teil auch menschliche Arbeit übernehmen: Erstens geben Verpackungen den Produkten einen flexiblen Körper, der sie an die Erfordernisse der jeweiligen Akteure und Arbeitsschritte (vom LKW-Transport bis zum Einräumen ins Supermarktregal) anpasst. Zweiten fungieren sie als abfragbares Gehirn, das Informationen speicherbar und abrufbar macht, auch digital über das Scannen von Barcodes. Drittens geben Verpackungen den Produkten ein vertrautes Gesicht, das in anonymen Marktbeziehungen Wiedererkennungswert und Vertrauen generiert. Viertens fungieren Verpackungen als helfende Hand im Umgang mit Lebensmitteln, etwa über Dosierfunktionen oder Zubereitungshinweise (vgl. Abbildung 1).

Abbildung 1: Heuristik von Verpackungsfunktionen im Lebensmittelhandel
(© Angelika Ullmann, CC BY 4.0, https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/, angepasst nach Sattlegger und Süßbauer 2022)

Vermittlungsfunktionen von Verpackungen sind wichtig bei der Suche nach Lösungen

In der Innovationsarbeit zur Vermeidung von Verpackungen müssen diese vier Vermittlungsdimensionen von Verpackungen berücksichtigt werden. Nachhaltige Strategien zur Verpackungsvermeidung im Einzelhandel dürfen daher nicht auf das alleinige Weglassen der Verpackung als physische Hülle setzen, sondern müssen auf das Netzwerk an Praktiken abzielen, in das die Verpackungen eingebunden sind. Neue und andere Verpackungslösungen müssen durch neue Objektbeziehungen und Praktiken stabilisiert werden. Es braucht also alternative Mensch-Material-Beziehungen, um alternative Praktiken zu etablieren und Vermeidungsstrategien voranzutreiben. Dabei muss eine Vielzahl alltagspraktischer und fallspezifischer Fragen gelöst werden: Wo wird das Produkt abseits der Verpackung beworben? Wie kann es in mehrstufigen Logistikprozessen ohne normierende Hülle verladen, gestapelt, gelagert werden? Welche Handgriffe im Alltag von Angestellten sind auch ohne bisher vertraute Verpackungen effizient denkbar? Die Beantwortung solcher Fragen erfordert die ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zwischen den materiellen Gegebenheiten und technologischen Möglichkeiten des Versorgungssystems und den Kompetenzen und Praktiken der ausführenden Akteure. Kurzum, technologische und soziale Innovationen müssen im Transformationsprozess Hand in Hand gehen. Grundlegende Innovationen der Müllvermeidung erfordern deshalb nicht nur nachhaltigere Materialien und Technologien, sondern auch organisatorische Anpassungen und einen Wandel von arbeitsbezogenen Kompetenzen und Bedeutungen in Bezug auf Verpackung und ihrer Verwendung.

Handlungsempfehlungen für den Lebensmittelhandel

In einem Policy Brief haben wir diese Erfordernisse in konkrete Handlungsoptionen für den Lebensmittelhandel übersetzt. Auf Basis unserer interdisziplinären Forschungsergebnisse in der Nachwuchsforschungsgruppe PlastX geben wir drei grundlegende Empfehlungen für die nachhaltige Gestaltung und Reduktion von Lebensmittelverpackungen. Erstens muss der Einsatz von Einwegverpackungen grundlegend reduziert werden. Eine umfassende Reflexion der technischen, logistischen und arbeitspraktischen Anforderungen an Verpackungen sowie ihrer Informations- und Werbefunktionen ermöglicht es Lebensmittelhändlern und Herstellern, diesbezüglich Spielräume für Verpackungsvermeidung und den Verkauf unverpackter Waren zu erfassen. Zweitens gilt es dort, wo Vermeidung aus logistischen Gründen nicht möglich ist, auf nachhaltige Verpackungslösungen und -materialien umzustellen. Mehrwegsysteme und recyclingfähige Materialien zeigen dabei in Ökobilanzen Vorteile, während bioabbaubare Kunststoffe unter aktuellen Bedingungen meist weder kreislauffähig noch ökologisch vorteilhaft sind. Durch erweiterte Materialtests können Verpackungshersteller ausschließen, dass die Verpackung schädliche Chemikalien an das Lebensmittel abgibt; hierzu ist eine bessere Kommunikation innerhalb der Lieferketten essenziell. Drittens erfordern nachhaltige Verpackungslösungen grundlegende Innovationen im betrieblichen Alltag. Diese gehen über rein technologische Neuerungen hinaus und setzen auf organisatorische Anpassungen, deren Erfolgschancen durch Partizipation der Angestellten erhöht werden können. Ein entsprechendes Commitment des Unternehmens sowie die Bereitstellung von zeitlichen und finanziellen Ressourcen sind dabei unabdingbar.


Autor*in

Lukas Sattlegger

Lukas Sattlegger ist seit 2016 wissenschaftlicher Mitarbeiter des ISOE im Forschungsschwerpunkt Energie und Klimaschutz im Alltag. Er promovierte an der Goethe-Universität Frankfurt als Teil der SÖF-Nachwuchsforschungsgruppe PlastX zum Thema Verpackungen und nachhaltiger Konsum. Davor studierte er Soziologie und Kultur- und Sozialanthropologie an der Universität Wien und Sozial- und Humanökologie am IFF Wien der Alpe Adria Universität Klagenfurt.

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