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Digitale Suffizienz: So viel Digitalisierung wie nötig, so wenig wie möglich

Mosaik aus grünen und blauen Pixeln

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Es ist längst kein Zukunftstrend mehr, sondern unsere Gegenwart: die Digitalisierung von Wirtschaft und Alltag. Aus der Nachhaltigkeitsperspektive sind mit digitalen Innovationen und technischen Optimierungen immer auch Hoffnungen auf Effizienzgewinne verbunden. Rebound- und Induktionseffekte verhindern aber häufig, dass sich diese Effizienzeinsparungen auch tatsächlich realisieren. Aus diesem Grund beginnen Stimmen aus der Nachhaltigkeitsforschung und Zivilgesellschaft, das Konzept der „digitalen Suffizienz“ einzufordern. Ein kürzlich erschienener Fachartikel bietet nun eine Definition und Operationalisierung des Konzepts an. 

Ausgehend vom allgemeinen Verständnis von Suffizienz als einer absoluten Reduktion von ökologischen Belastungen umfasst digitale Suffizienz Strategien, die darauf abzielen, das absolute Niveau des Ressourcen- und Energiebedarfs aus der Produktion oder Anwendung von digitalen Geräten direkt oder indirekt zu senken. Dies kann in vier Dimensionen erfolgen: entweder im Rahmen der Hardware- und Software-Gestaltung oder in Bezug auf individuelle Verhaltensweisen und ökonomische Rahmenbedingungen.

Die vier Dimensionen der digitalen Suffizienz

Hardware-Suffizienz. Indem Hersteller langlebige, reparierbare und aufrüstbare Geräte entwickeln, kann die Lebensdauer von Geräten verlängert und damit die Nachfrage nach neuen Geräten reduziert werden. Am Ende der Nutzungszeit können verbesserte Recyclingsysteme zu Hardware-Suffizienz beitragen. Die Verlängerung der Lebensdauer ist umso dringlicher, als die absolute Anzahl von digitalen Geräten ständig zunimmt. Dies wiederum resultiert aus dem Problem, dass funktionierende Hardware oft durch neue Softwareentwicklungen oder sogar durch geplante Obsoleszenz unbrauchbar wird. 

Software-Suffizienz. Hierbei geht es darum, das Datenvolumen, den Datenverkehr und die Nachfrage nach der Rechenleistung von digitalen Geräten durch energieeffizientes und datensparsames Softwaredesign zu minimieren. Die Entwicklung energieeffizienter und datensparsamer Software kann beispielsweise durch einheitliche Designstandards gewährleistet werden. Zudem sollte die Menge der gesammelten und übermittelten Daten bei der Nutzung von Software minimiert werden. Diesbezüglich bietet die Vermeidung von unnötigen Datentransfers, die durch ungewollte Werbe- und Tracking-Dienste von Drittanbietern entstehen, großes Potenzial. Im Falle von Smartphone-Apps können so zwischen drei und acht Tonnen CO2-Äquivalente pro Jahr eingespart werden. Darüber hinaus bedeutet Software-Suffizienz, Rechenkapazitäten entsprechend der aktuellen Nachfrage anzupassen, zum Beispiel, indem Software nicht benötigte Netzwerkinfrastruktur in einen „Schlafmodus“ versetzt. Auch Free and Open Source Software und Open-Data-Ansätze können einen suffizienteren Umgang mit Daten und Rechenkapazitäten begünstigen.

Nutzungssuffizienz. Diese Dimension zielt darauf ab, digitale Technologien energie- und ressourcensparsam einzusetzen oder zu verwenden, um suffiziente Praktiken zu fördern. Das erwünschte Verhalten besteht darin, zunächst zu hinterfragen, ob ein digitales Gerät überhaupt notwendig ist – und wenn ja, weniger Geräte zu kaufen und deren Lebensdauer durch Pflege, Wartung, Reparatur, Teilen oder Secondhand zu verlängern. Darüber hinaus können digitale Anwendungen und smarte Systeme suffizienzorientierte Lebensstile erleichtern, etwa Apps zur Vermeidung von Lebensmittelabfällen wie „Too Good To Go“. 

Ökonomische Suffizienz hat schließlich das Ziel, mit Hilfe der Digitalisierung den Übergang zu einer Postwachstumsökonomie möglich zu machen. Dies erfordert tiefgreifendere politische Eingriffe in politische und soziale Systeme als die anderen Dimensionen. Zunächst sollten IKT-gestützte Verbesserungen der Arbeitsproduktivität dafür eingesetzt werden, die durchschnittliche Arbeitszeit zu reduzieren, sodass mehr Zeit für Care- und Subsistenzarbeit bleibt. Darüber hinaus sollten die digitalen Möglichkeiten genutzt werden, um die Kreislaufwirtschaft zu fördern. Diese Entwicklungen setzen voraus, dass sich alternative Unternehmenstypen wie gemeinwohlorientierte oder genossenschaftliche Unternehmen mit Hilfe der Politik etablieren.

Politisches Handeln zur Förderung von digitaler Suffizienz

Vor diesem Hintergrund ist der Gedanke wenig überraschend, dass das Konzept der digitalen Suffizienz ohne politische Unterstützung und Rahmensetzung ein utopisches Gedankenspiel bleiben wird. Daher kann und soll die Politik mit regulatorischen und weichen Instrumenten wie Bildungsarbeit öffentlichen Kampagnen digitale Suffizienz in allen vier Bereichen ermöglichen. 

Ansporn könnte sein, dass wir in der Hardware- und Software-Dimension gar nicht so weit weg vom Ziel der digitalen Suffizienz sind. In anderen Bereichen braucht es etwas mehr Vorstellungskraft, um konkrete Schritte bis zur Umsetzung von digitaler Suffizienz zu realisieren. Beispielsweise müssen für eine Transformation der Wirtschaft in Richtung Postwachstum ganz grundlegende und weitreichende Maßnahmen ergriffen werden, die von Änderungen der Preissetzungs- und Arbeitsmarktpolitik über Anpassungen bei Infrastrukturen oder öffentlicher Finanzierung reichen. Maßnahmen, die auf die Hardware-Suffizienz abzielen, erscheinen hingegen einfacher umsetzbar, da sie Ähnlichkeiten mit bereits bestehenden Richtlinien aufweisen. Diese richten sich hauptsächlich an Hersteller und Anbieter digitaler Lösungen und beziehen sich primär auf Änderungen im Hardwaredesign. Einheitliche Designstandards, die geringe Umweltauswirkungen während der Produktion gewährleisten oder einen möglichst hohen Anteil recycelter Materialien festlegen, werden zum Beispiel im Karlskrona Manifest bereits festgeschrieben. Für das bessere Verständnis über die Notwendigkeit digitaler Suffizienz und die konkrete Ausgestaltung haben Initiativen wie das Forschungsprojekt „Digitalisierung und sozial-ökologische Transformation“ oder The Shift Project einen wichtigen Grundstein gelegt. Jetzt muss politisches und wirtschaftliches Handeln folgen. Ein Anfang wäre, wenn sich alle Akteure aus Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft dem Motto „So viel Digitalisierung wie nötig, so wenig wie möglich“ verpflichten.


Autor*in

Maike Gossen

Maike Gossen arbeitet am Fachgebiet Sozial-ökologische Transformation der TU Berlin und leitet das Forschungsprojekt „Green Consumption Assistant“. Zuvor hat sie mehrere Jahre am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) zu nachhaltigem Konsum geforscht. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen Themen wie Umweltbewusstsein, soziale Innovationen, Nachhaltigkeitsmarketing und Digitalisierung. In der BMBF-geförderten Nachwuchsforschungsgruppe „Digitalisierung und sozial-ökologische Transformation” hat sie zu Suffizienzförderndem Marketing promoviert.

1 Kommentar zu “Digitale Suffizienz: So viel Digitalisierung wie nötig, so wenig wie möglich

  1. […] Blog des Instituts für sozial-ökologische Forschung (ISOE) zum Thema digitale Suffizienz:  https://isoe.blog/digitale-suffizienz-so-viel-digitalisierung-wie-noetig-so-wenig-wie-moeglich/ […]

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