Corona

Die Corona-Pandemie als Ausdruck der Krise gesellschaftlicher Naturverhältnisse (Teil 2)

Aerial top view on plantation of palm trees texture background

Foto: Kalyakan – stock.adobe.com

Sozial-ökologische Transformationen können nur gelingen, wenn wir sie als gemeinsame Gestaltungsaufgabe verstehen. Die nachfolgend vorgestellten Gestaltungsprinzipien sollen Orientierung geben und Ansatzpunkte aufzeigen zur Bewältigung der aktuellen Corona-Krise.

Beziehungen zwischen Gesellschaft und Natur in den Mittelpunkt rücken

Ein Merkmal der globalen Krise gesellschaftlicher Naturverhältnisse besteht darin, Natur nicht als eigenständiges Gegenüber, sondern als Objekt zu sehen, das seinen Wert allein aus seinem Beitrag zur Sicherung bzw. Verbesserung der menschlichen Lebensbedingungen bezieht (Jahn et al. 2020).

Die Corona-Krise zeigt, wie Interdependenzen zwischen nicht-nachhaltigen Produktions- und Konsummustern in den Bereichen Landwirtschaft und Ernährung einerseits und rapider Urbanisierung andererseits die Pandemie ausgelöst haben. Viren mit Pandemie-Potenzial nehmen in den letzten Jahren in der Dynamik zu; dazu zählen beispielsweise Grippewellen (Influenza), Ebola, Dengue, Zika oder EHEC. Viren und Bakterien sind aber schon immer Begleiter des Menschen. Durch die Zähmung von Tieren in der Zeit der Neolithischen Revolution sprangen bereits Krankheitserreger auch auf den Menschen über; so waren schon seinerzeit Pocken, Pest, Cholera und Grippe verbreitet, die den Menschen zu schaffen machten (vgl. Glaubrecht 2019). Dieser als Zoonose bezeichnete Prozess nimmt gegenwärtig zu, weil – wie der Biodiversitätsrat betonte – der Mensch immer weiter in die letzten Naturresiduen eindringt, insbesondere in den sehr viren- und bakterienreichen tropischen Zonen. Die räumliche Ausweitung der Agrarnutzung und die dahinterstehenden Handelssysteme zerstören die letzten Residuen der Artenvielfalt (z.B. Urwälder) und erhöhen die Kontakte zwischen Tieren, Vieh, Krankheitserregern und Menschen.

Diese Probleme sind eng mit der Regulation gesellschaftlicher Naturverhältnisse bei der Landnutzung verknüpft. Die Abholzung tropischer Regenwälder durch Anbau von Luzernen und Rinderhaltung für die Fleischproduktion bedeutet auf dieser Seite des globalen Südens die schon beschriebenen immer tieferen Eingriffe in die Natur; auf der anderen Seite wird das Viehfutter in Europa in der Kuh- und Schweinemast verwendet und führt zur Produktion großer Tiermassen von bisweilen hohen Konzentrationen an einem Ort.

Wo könnte grundsätzlich ein Schlüssel zur Bewältigung der in die Krise geratenen Beziehungen zwischen Gesellschaft und Natur liegen? Nach unserem Dafürhalten braucht es hier eine Neugestaltung im Beziehungsgeflecht von Gesellschaft und Natur. Eine sozial-ökologische Gestaltung muss sich im Kern auf das In-Beziehung-Setzen von Gesellschaft und Natur richten und sich dabei von der Idee einer grundsätzlichen Gleichberechtigung zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Subjekten leiten lassen (Jahn et al. 2020). So könnten natürlichen Entitäten eigene Rechte (z.B. Recht auf sauberes Wasser oder Luft, Erhalt bestimmter Tierarten oder Biotope) zugestanden werden, die in treuhänderischer Weise durch die Gesellschaft wahrgenommen werden könnten. Auf diese Weise gäbe es neben dem Menschen noch andere Rechtssubjekte, deren ökologische Ansprüche gegen z.B. rein wirtschaftliche Interessen ausbalanciert werden könnten. So wie in der COVID-19-Pandemie das gesellschaftliche Miteinander auf den Prüfstand gerät, muss auch die Verantwortung für andere Arten und die natürlichen Lebensgrundlagen berücksichtigt werden.

Bezogen auf den Verlust biologischer Vielfalt zeigt sich so, dass sich durch die Kopplung von lokalem Handeln in der einen Weltregion (z.B. Landnutzung, Schadstoffeinträge) mit dem lokalen Handeln in einer anderen Weltregion neue Herausforderungen für den Biodiversitätsschutz ergeben. Vor diesem Hintergrund muss eine sozial-ökologische Gestaltung auf die Veränderungsprozesse der Biodiversität und den gesellschaftlichen Umgang damit ausgerichtet sein.

Grenzen abstecken und reflektieren

Krisen gesellschaftlicher Naturverhältnisse sind geprägt durch fortschreitende Prozesse der Entgrenzung, verbunden mit einer Komplexität ihrer Wirkungszusammenhänge. Die Prozesse verlaufen auf unterschiedlichen räumlichen, zeitlichen und sozialen Skalen – vom Lokalen bis hin zum Globalen, von gegenwärtigen Ereignissen zu langfristigen Folgen, vom Handeln in alltäglichen Zusammenhängen bis hin zur Politik internationaler Regime und multinationaler Organisationen (Jahn et al. 2020).

Im Kontext der COVID-Pandemie lassen sich unterschiedliche Prozesse der Entgrenzung beschreiben. Nach dem Ausbruch von COVID-19 im chinesischen Wuhan im Dezember 2019 breitete sich die Krankheit innerhalb kurzer Zeit weltweit aus und wurde im März 2020 von der WHO zur Pandemie erklärt. Die Vernetzung von Orten in einer mobilen globalisierten Welt kommt in diesem Zusammenhang einer engen Kopplung gleich, die große räumliche Distanzen in geringer Zeit zu überwinden vermag. Die starken Wechselwirkungen zwischen lokaler und globaler Ebene treffen dabei auf menschengemachte politisch-administrative Grenzen von Gebietskörperschaften und deren Gesundheitssysteme, die regional und national definiert sind. Die Krise zeigt, wie Systemgrenzen gesprengt werden und wie politische Kurzschlüsse Verbindungen zwischen unterschiedlichen zeitlichen und räumlichen Skalen herstellen. Als Reaktion darauf sind im Zuge der Gefahrenabwehr Grenzsetzungen rein auf sozialer Ebene, z.B. Ausgangssperren, Einreisebegrenzungen vorgenommen worden. Zugleich können Prozesse der Entgrenzung zwischen dem privaten und öffentlichen Bereich und starke Eingriffe in Freiheitsrechte zum Zwecke des Social Distancing genannt werden. Dabei bleiben nicht nur Grenzsetzungen zwischen Gesellschaft und Natur unberücksichtigt, sondern insbesondere die Reflexion und Aushandlung von Grenzen. Auch die Vorstellung, dass Begrenzungen nach überstandener Krise bei der Rückkehr in die vermeintliche Normalität wieder wegfallen, ist ein Trugschluss. Prozesse der Begrenzung können vor diesem Hintergrund daher nicht auf eine reine Gefahrenabwehr reduziert werden, sondern müssen als umfassende gesellschaftliche Gestaltungsaufgabe erachtet werden.

Dies gilt insbesondere für die Begrenzung der wachsenden menschlichen Inanspruchnahme und Nutzung von Flächen und Ressourcen, um ausreichend Freiräume für den Erhalt der biologischen Vielfalt innerhalb und außerhalb urbaner Agglomerationen zur Verfügung zu stellen, wodurch außerdem ein Beitrag zum Klimaschutz geleistet werden kann. Wie sehr es hierbei um Aushandlung von Grenzsetzungen geht, zeigt nochmals das Problem der rasanten Abnahme der biologischen Vielfalt. So liegen viele der sogenannten Naturreservate wie verlorene Inseln im Ozean der Agrarlandschaften (vgl. Glaubrecht 2019). Das dahinterliegende Problem ist im Kern die Isolation der Schutzgebiete. Sie ermöglichen nicht mehr den für die Sicherung der Evolution notwendigen genetischen Austausch der Flora und Fauna. Um diese krisenhafte Situation aufzubrechen, braucht es Vernetzungskorridore, um Wechselbeziehungen wiederherzustellen. Die zwischen den Naturreservaten liegenden Landschaften könnten so umgestaltet werden, dass sie z.B. als Streifgebiete für die Fauna nutzbar sind. Für solche ökologischen Brückenzonen braucht es auf verschiedenen Skalen je spezifische soziale und politische Grenzziehungen auf Zeit. Solche gesellschaftlich erzeugten sozial-ökologischen Grenzsetzungen erfordern jedoch ein hohes Maß an Aushandlung und Partizipation, um eine nachhaltige Regulationen im Verhältnis zwischen Natur und Gesellschaft zu erreichen. Eine wünschenswerte Gestaltung gesellschaftlicher Naturverhältnisse muss sich auf Begrenzung ausrichten, ohne dass dabei im Vorhinein feststehen kann, welche physischen, sozialen, politischen oder kulturellen Räume damit abgesteckt werden (Jahn et al. 2020). Das genannte Beispiel zeigt, wie grundlegend Probleme der Entgrenzung im Zusammenhang mit Krisen gesellschaftlicher Naturverhältnisse sind und gleichzeitig, welche entscheidende Rolle Grenzsetzungen bzw. Begrenzungen bei der Gestaltung sozial-ökologischer Transformationen spielen.

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Autor*innen

Diana Hummel

Diana Hummel ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am ISOE und seit April 2014 Mitglied der Institutsleitung. Davor leitete sie den Forschungsschwerpunkt Biodiversität und Bevölkerung. Sie ist am ISOE Ansprechpartnerin für Hochschulkooperation und wissenschaftlichen Nachwuchs. Diana Hummel ist Privatdozentin am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt am Main, Arbeitsschwerpunkt Weltgesellschaft, Weltentwicklung und Weltordnung einschließlich Friedens- und Konfliktforschung. Sie hat ein Studium der Erziehungswissenschaften, Psychologie und Gesellschaftswissenschaften an der Universität Frankfurt am Main absolviert und dort 1999 zum Thema promoviert „Der Bevölkerungsdiskurs. Demographisches Wissen und politische Macht“. Am selben Fachbereich hat sie 2009 habilitiert zu „Die Versorgung der Bevölkerung – Studien zur Bevölkerungsdynamik und Transformation von Versorgungssystemen“.

Thomas Jahn

Thomas Jahn war bis März 2021 Sprecher der Institutsleitung des ISOE und wissenschaftlicher Geschäftsführer. Er ist Mitbegründer des Instituts und war bis September 2021 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsschwerpunkt Transdisziplinäre Methoden und Konzepte, den er bis 2015 leitete. Unter anderem arbeitet er zu gesellschaftlichen Naturverhältnissen, transdisziplinären Methoden und Konzepten sowie zur sozial-ökologischen Wissenschaftsforschung. Im Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum (SBiK-F) war Thomas Jahn Sprecher des Tätigkeitsschwerpunkts „Ökosystemleistungen und Klima“. Thomas Jahn studierte Soziologie, Politik, Germanistik und Geschichte an den Universitäten Freiburg und Frankfurt am Main und promovierte 1989 zum Thema „Krise als gesellschaftliche Erfahrungsform. Umrisse eines sozial-ökologischen Gesellschaftskonzepts“.

Thomas Kluge

Thomas Kluge ist Mitbegründer des ISOE und war bis März 2014 Mitglied der Institutsleitung. Er arbeitet unter anderem im Forschungsschwerpunkt Wasserressourcen und Landnutzung. Thomas Kluge hat Rechts- und Sozialwissenschaften an der Universität Frankfurt am Main studiert und 1984 promoviert zum Thema „Gesellschaft, Technik, Natur – zur lebensphilosophischen Technik- und Gesellschaftskritik“. 1999 hat er an der Universität Kassel habilitiert über „Wasser und Gesellschaft. Von der hydraulischen Maschinerie zur nachhaltigen Entwicklung“. Seitdem hat er eine Lehrtätigkeit an der Universität Kassel.

Martin Zimmermann

Martin Zimmermann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des ISOE und leitet seit Juli 2018 den Forschungsschwerpunkt Wasserinfrastruktur und Risikoanalysen. Er studierte Wirtschaftsingenieurwesen mit der technischen Fachrichtung Bauingenieurwesen und den Schwerpunkten Umwelt-, Raum- und Infrastrukturplanung an der Technischen Universität Darmstadt. Im Rahmen des interdisziplinären DFG-Graduiertenkollegs „Topologie der Technik“ und seiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut IWAR der TU Darmstadt promovierte er zur nachhaltigen Transformation des Wasserversorgungssystems im zentralen Norden Namibias. Danach war er als PostDoc in der Lehr- und Forschungseinheit Mensch-Umwelt-Beziehungen am Department für Geographie der Ludwig-Maximilians-Universität München tätig.

2 Kommentare zu “Die Corona-Pandemie als Ausdruck der Krise gesellschaftlicher Naturverhältnisse (Teil 2)

  1. […] besser zu verstehen und Ansatzpunkte für Handlungsoptionen auszuweisen. Die in dem vorangegangenen Beitrag vorgestellten sozial-ökologischen Gestaltungsprinzipien helfen, konkrete Formen der […]

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